Ist der Ballermann asozial oder ein Ort um die Seele baumeln zu lassen?
- roxaneschneider
- 8. Jan. 2022
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 15. Feb. 2022
Wie war das noch mit den Vorurteilen? Irgendwie denken viele Menschen an einen asozialen Haufen, wenn sie das Wort „Ballermann“ hören. Es fallen Wörter wie „Komasaufen“ oder Reaktionen wie „Ach, du fliegst nach Mallorca, aber nicht zum Ballermann oder?“ Doch, genau da hin! Die Schickimicki-Clubs sind am Ballermann nicht auf den ersten Blick zu sehen, aber wenn man mich fragt, sage ich „Gott sei Dank!“. Obwohl die meisten Menschen mich auf den ersten Blick für eine Tussi halten. Aber was ist schon der erste Blick? Der ist so häufig falsch.
Seit nun 13 Jahren bin ich mit meiner besten Freundin einmal jährlich auf Mallorca, am Ballermann. Ich bin mir sicher, wir sind nicht asozial. Wir sind Akademiker und beide berufstätig. Was natürlich nicht ausschließt, dass man asozial ist. Aber für viele Menschen passt Akademiker und Ballermann nicht zusammen. Aber von unserer Sorte laufen dort sehr viele rum.
Das erste Mal auf Mallorca waren wir mit 18. Unsere erste gemeinsame Flugreise, das war alles so aufregend und damals war der Ballermann noch nicht so populär wie heute. Da ist es passiert, wir haben uns in den Ballermann verliebt. Was man dazu sagen muss, man kann in Flip-Flops und Badehose in den Bierkönig, man kann aber auch in Highheels und Kleidchen dahin. Klar fällt man dann auf, aber das Schöne ist, es ist völlig egal, wie man dort ankommt, irgendwie gehört man dann zur Familie. Es gibt gerade einen aktuellen Song „Wir sind eine große Familie“ und der trifft das Thema zu mehr als 100 Prozent. Im Bierkönig sind irgendwie alle gleich. Dort spricht jeder mit jedem und keiner ist allein. Nach 13 Jahren Mallorca fühlt man sich dort wirklich „daheim“. Die Kellner erkennen einen wieder und trinken einen Schnaps mit einem.
Gegenüber vom Bierkönig arbeitet eine Kellnerin, mit der wir mal auf Kriegsfuß standen, inzwischen ist sie unsere Lieblingskellnerin und es vergeht kein Aufenthalt ohne Getränk bei ihr. Es war damals das Jahr der Schweinegrippe und diese wurde von den Medien extrem hochgespielt. Aber jung wie wir waren, ich gerade in einem für mich wichtigen Praktikum angestellt, hatten wir tierisch Angst, uns mit dieser noch unbekannten Schweinegrippe zu infizieren. Aber Mallorca ausfallen lassen? Kommt nicht in die Tüte. Also haben wir Desinfektionsmittel eingepackt und sind an den Ballermann geflogen. Getränke wurden „aber bitte mit Kappe“ bestellt und die besagte Kellnerin fand dies zunächst so gar nicht witzig und fragte uns, ob wir die Zitrone auch selber schneiden wollen für unser geschlossenes Corona. Im Nachhinein betrachtet war ich dann doch erkältet, musste zum Gesundheitsamt mit Verdacht auf Schweinegrippe, wurde behandelt als hätte ich eine Seuche (die Menschen wiesen mich an, meine Unterlagen abzulegen und dann 10 Schritte zurück zu gehen und sie hatten Ganzkörperanzüge an). Der Test ergab allerdings, dass ich nicht infiziert war. So hätte mich auf Malle niemand behandelt. Aber das ist eine andere Geschichte. Die Jahre danach konnten wir herzlich darüber lachen und die Kellnerin hat uns inzwischen ins Herz geschlossen.
Aber nicht nur diese Kellnerin kennt uns inzwischen in diversen Verfassungen, auch die Putzfrau im Bierkönig ist für uns keine Unbekannte mehr. Sie erkennt uns natürlich jedes Jahr und unsere Putzfrau Fumi hat immer gute Laune und stimmt auf Toilette das Lied „if you sexy and you know it, wash your hands“ an. Das Schöne ist, alle Frauen auf Toiletten singen mit. Als Studenten waren wir auch nicht immer ihre Freunde, da konnten man nicht jedes Mal Trinkgeld dalassen und Fumi hat es wirklich verdient! Inzwischen achten wir penibel drauf, dass wir genug Kleingeld für unsere Fumi haben. Natürlich gibt’s auch jedes Jahr das obligatorische Dreierfoto.
Das Schöne auf Mallorca ist, es ist Balsam für die Seele. Hier kann man einfach mal den Kopf freimachen. Yoga ist gut, Ballermann ist besser. Ich spreche aus Erfahrung. Yoga mache ich a
uch. Okay gut, für den äußeren Körper ist Mallorca vielleicht etwas stressig. Komischerweise habe ich nach dem verlängerten Wochenende immer geschwollene Füße und 3 kg mehr auf den Rippen, aber meine Seele liegt ausgeruht in dem aufgedunsenen Körper und lächelt. Man wird ja nicht jünger. Aber Ballermann hält jung.
Die meisten Leute denken, das Publikum dort sei asozial, das ist aber nicht wahr. Die Menschen sind alle hilfsbereit. Ich muss gestehen, es kam das ein oder andere Mal vor, dass ich in den besagten Highheels ab einem gewissen Pegel umgeknickt bin. Sofort waren da Menschen, die sich um einen kümmern bzw. dafür sorgen, dass ich nicht hinfalle... einem einfach so ein Wasser kaufen. Wie selbstverständlich redet jeder mit jedem. Das habe ich noch an keinem anderen Ort auf der Welt in dieser Form erlebt und ich kann behaupten, ich habe schon viele gesehen.
Dieses Jahr am Strand haben wir uns mit einem Inder angefreundet. Er verkauft dort Bier. Was gibt es Schöneres als ein kühles San Miguel am Strand, wenn im Hintergrund die Malle-Schlager laufen, man den Mega Park hinter sich hat und das Meer vor einem? Stell dir vor, du liegst am Strand, hörst das Wellenrauschen, Musik und „Meloni, Meloni, Meloni, Massagi, Massagi“ oder „hallo Lady Gaga, neue Brille?“. Du brauchst dich nicht vom Fleck zu bewegen, um alles zu bekommen, was du brauchst. Etwas Obst für die fehlenden Vitamine, ein kühles Getränk, dazu eine Massage und eine neue Sonnenbrille. Was will man mehr?
Der Ballermann ist für jeden Menschen da, man muss sich nur darauf einlassen. Es gibt sicherlich Menschen, die die Nase rümpfen, aber für diese Menschen ist es nicht der richtige Ort. Man kann so viel lachen dort, die Menschen in ihren verrückten Kostümen, die Menschen, die einem viele witzige Dinge erzählen. Es gibt auch mal ernste Gespräche, es ist interessant, wie Jung und Alt gemeinsam feiern können und wie viele unterschiedliche Geschichten dort aufeinander treffen. Das Alter spielt hier keine Rolle.
Die dunkelhäutigen Verkäufer, die einem versuchen Sonnenbrillen mit 100 Jahren Garantie zu verkaufen. Wir haben so einige zu Hause, gute Qualität, guter Preis. Ganz wichtig, heute billig, morgen teuer, da muss man zuschlagen. Aber es gibt auch andere tolle Dinge, die sie im Angebot habe, vom Blinkring bis zum Helikopterhaarreifen, für jeden ist etwas dabei.
Wenn wir auf Malle sind gibt’s keine Sorgen. Die einzigen Sorgen sind, was ziehen wir heute an (wobei wir meistens ein abgestimmtes Motto haben und sich nur die Frage stellt, wann ist welches Motto dran), um wie viel Uhr gehen wir los und was essen wir heute Abend. Das Leben kann so einfach sein. Dieses Jahr auf Malle haben wir festgestellt, also wenn wir nicht schon wir wären, dann wären wir gern wir.
Schade, dass Malle nur einmal im Jahr ist … :)
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